BAG, Urteil v. 16.02.2023 - 8 AZR 450/21 (2024)

BAGUrteil v. - 8 AZR 450/21

Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 5 Ca 638/19 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 1 Sa 358/19 Urteil

Gründe

20Die zulässige Revision der Klägerin ist ganz überwiegend begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht vollumfänglich zurückgewiesen. Die Beklagte schuldet der Klägerin rückständige Vergütung für die Zeit vom bis zum iHv. insgesamt 8.000,00Euro brutto, für den Monat Juli 2018 iHv. 500,00Euro brutto und für die Zeit vom bis zum iHv. insgesamt 6.000,00Euro brutto, jeweils zuzüglich der eingeklagten Zinsen. Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG iHv. 2.000,00Euro zuzüglich der eingeklagten Zinsen.

21I. Die Beklagte schuldet der Klägerin rückständige Vergütung für die Zeit vom bis zum iHv. insgesamt 8.000,00Euro brutto. Der Anspruch folgt aus Art.157 AEUV und für den Zeitraum ab Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes am auch aus §3 Abs.1, §7 EntgTranspG.

221. Als Anspruchsgrundlage für gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts kommen sowohl der direkt anwendbare Art.157 AEUV als auch -für die Zeit ab dem Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes- §3 Abs.1 und §7EntgTranspG in Betracht (- Rn.17, BAGE173, 331).

23a) Nach Art.157 Abs.1 AEUV, der zwingenden Charakter hat und von den nationalen Gerichten direkt anwendbar ist (st. Rspr., -[Tesco Stores] Rn.22ff.; zur Vorgängerregelung in Art.119 EWG-Vertrag 43/75- [Defrenne] Rn.38f.), gilt bei Beschäftigungsverhältnissen der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Art.157 Abs.1 AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art.2 Abs.1 Buchst.e und Art.4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art.157 AEUV miterfasst (vgl. 43/75- [Defrenne] Rn.53ff. zu Vorgängerbestimmungen; - Rn.18, BAGE173, 331).

24b) Nach §3 Abs.1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in §7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts (- Rn.19, BAGE173, 331; -8AZR 145/19- Rn.64,98, BAGE 171, 195). §3 Abs.1 und §7 EntgTranspG sind auf die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit in das nationale Recht in Deutschland gerichtet (- aaO; vgl. näher - Rn.63ff., aaO). §3 Abs.1 und §7 EntgTranspG sind entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art.157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs derEuropäischen Union unionsrechtskonform auszulegen (- aaO).

252. Die Klägerin hat im Zeitraum vom bis zum eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG bzw. Art.157 Abs.2 AEUV sowie Art.2 Abs.1 Buchst.a und Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG erfahren.

26Nach §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG liegt eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde. Diese Bestimmung steht im Einklang mit Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG, wonach eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, eine unmittelbare Diskriminierung darstellt (- Rn.35, BAGE173, 331).

27a) Die Klägerin hat in der Zeit vom bis zum ein um 1.000,00 Euro brutto geringeres monatliches Entgelt iSv. §3 Abs.1 und §7EntgTranspG bzw. iSv. Art.157 Abs.2 AEUV und Art.2 Abs.1 Buchst.e der Richtlinie 2006/54/EG erhalten als der bei der Beklagten beschäftigte männliche Arbeitnehmer P.

28aa) Das monatliche Grundgehalt ist „Entgelt“ iSv. §3 Abs.1 und §7 EntgTranspG sowie iSv. Art.157 Abs.2 AEUV und Art.2 Abs.1 Buchst.e der Richtlinie 2006/54/EG. Nach Art.2 Abs.1 Buchst.e der Richtlinie 2006/54/EG, der im Übrigen Art.157 Abs.2 Satz1 AEUV entspricht, bezeichnet der Ausdruck „Entgelt“ die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar als Geld- oder Sachleistung zahlt. Art.2 Abs.1 Buchst.e der Richtlinie 2006/54/EG wurde mit §5 Abs.1 EntgTranspG in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Danach bezeichnet „Entgelt“ iSd. EntgTranspG alle Grund- oder Mindestarbeitsentgelte sowie alle sonstigen Vergütungen, die unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses gewährt werden (- Rn.20, BAGE173, 331; -8AZR 145/19- Rn.52, 67, BAGE171, 195). Ausgehend von diesem Begriffsverständnis stellt das Grundgehalt der Klägerin und das des Mitarbeiters P Entgelt iSv. §3 Abs.1 und §7EntgTranspG sowie iSv. Art.157 Abs.2 AEUV und Art.2 Abs.1 Buchst.e der Richtlinie 2006/54/EG dar.

29bb) Der Vergleich der Entgelthöhe ist auf das Grundgehalt zu beschränken, während andere Entgeltbestandteile nicht in den Vergleich einzubeziehen sind. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit gilt für jeden einzelnen Bestandteil des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gezahlten Entgelts und wird nicht nur im Wege einer Gesamtbewertung der diesen gewährten Vergütungen angewandt. Nur auf diese Weise werden echte Transparenz und eine wirksame Kontrolle erreicht ( (A)- Rn.23; zu Art.119 EG-Vertrag - [Brunnhofer] Rn.35). Unabhängig davon, dass der Mitarbeiter P und die Klägerin in der Zeit vom bis zum ohnehin keine Provisionen erhalten haben, und unabhängig davon, dass es sich bei der unbezahlten Freistellung der Klägerin nicht um Entgelt in og. Sinne gehandelt hat, ist der Entgeltvergleich bereits aus Rechtsgründen auf das Grundgehalt zu beschränken.

30cc) Die Beklagte hat der Klägerin ein niedrigeres Grundgehalt gezahlt als dem ebenfalls bei ihr beschäftigten Mitarbeiter P. In der Zeit vom bis zum hat die Klägerin monatlich ein Grundentgelt iHv. 3.500,00Euro brutto erhalten, während die Beklagte dem Mitarbeiter P im selben Zeitraum ein um 1.000,00 Euro brutto höheres Grundentgelt, nämlich ein solches iHv. 4.500,00Euro brutto gezahlt hat. Hieraus ergibt sich für einen Zeitraum von acht Monaten eine Entgeltdifferenz iHv. insgesamt 8.000,00Euro brutto.

31b) Die Klägerin übte die gleiche Arbeit iSv. Art.157 Abs.1 AEUV, Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2006/54/EG und damit auch iSv. §4 Abs.1 EntgTranspG aus wie der Mitarbeiter P. Soweit das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen ist, die Klägerin und der Mitarbeiter P hätten gleichwertige Arbeit geleistet, hat es den Unterschied zwischen gleicher und gleichwertiger Arbeit nicht beachtet.

32aa) Ob die betreffenden Arbeitnehmer die „gleiche Arbeit“ oder „gleichwertige Arbeit“ iSv. Art.157 AEUV verrichten, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung durch das Gericht. Dabei ist es Sache der nationalen Gerichte, die allein für die Ermittlung und Würdigung des Sachverhalts zuständig sind, zu entscheiden, ob die Tätigkeiten der betroffenen Arbeitnehmer angesichts ihrer konkreten Natur als gleich zu bewerten sind bzw. als gleichwertig anerkannt werden können (vgl. - [Tesco Stores] Rn.30; -C-427/11- [Kenny ua.] Rn.26).

33bb) Nach §4Abs.1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen.

34Nach §4Abs.2 Satz1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit iSd. EntgTranspG aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen, §4Abs.2 Satz2 EntgTranspG. Es ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind, §4 Abs.2 Satz3 EntgTranspG.

35Mit dem Begriff der „gleichwertigen Arbeit“ werden verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren daraufhin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind. Dies kann insbesondere mit den Methoden der Arbeitsbewertung erfolgen, soweit diese selbst diskriminierungsfrei sind (- Rn.37, BAGE173, 331). Das Entgeltgleichheitsgebot bei gleichwertiger Arbeit ermöglicht für das Grundentgelt den Vergleich sehr unterschiedlicher Tätigkeiten bezogen auf deren etwaige Gleichwertigkeit und einen etwaigen Anspruch auf gleiches Entgelt (- Rn.59, BAGE171, 195; vgl. etwa - [JämO] zur Möglichkeit des Vergleichs der Tätigkeit von Hebammen und Krankenhausingenieuren; -C-127/92- [Enderby] zur Möglichkeit des Vergleichs der Tätigkeit einer Logopädin, eines klinischen Psychologen und eines leitenden Apothekers).

36Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nicht nur zur Feststellung, ob die Arbeitnehmer eine „gleichwertige Arbeit“ iSv. Art.157 AEUV, sondern auch zur Feststellung, ob Arbeitnehmer „gleiche Arbeit“ iSv. Art.157 AEUV verrichten, zu prüfen, ob diese Arbeitnehmer unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie der Art der Arbeit, der Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können (vgl. etwa -teilweise zu den Vorgängerbestimmungen Art.119 EG-Vertrag bzw. Art.141 EG und Richtlinie 75/117/EWG-: - [Kenny ua.] Rn.27, 52; -C-381/99- [Brunnhofer] Rn.43,48; -C-309/97- [Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse] Rn.17). §4 Abs.1 EntgTranspG ist daher unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass die Kriterien des §4 Abs.2 Satz2 EntgTranspG auch für die Feststellung gleicher Arbeit maßgeblich sind.

37cc) Ausgehend von diesen Vorgaben haben die Klägerin und der Mitarbeiter P im Zeitraum vom bis zum die gleiche Arbeit iSv. Art.157 Abs.1 AEUV, Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2006/54/EG und damit auch iSv. §4 Abs.1 EntgTranspG verrichtet. Sie haben an verschiedenen Arbeitsplätzen eine gleichartige Tätigkeit ausgeführt. Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, haben sie nicht gleichwertige Arbeiten iSv. verschiedenartigen Arbeiten verrichtet, die lediglich von gleichem Wert sind.

38(1) Sowohl die Klägerin als auch der Mitarbeiter P waren im maßgeblichen Zeitraum im Vertriebsaußendienst eingesetzt und hatten bei ihrer Tätigkeit die gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnisse. Beide hatten - mit Ausnahme des Vertragsbeginns und des Grundentgelts - identische arbeitsvertragliche Vereinbarungen getroffen. Der Mitarbeiter P und die Klägerin haben sich zudem gegenseitig vertreten, ohne dass es einer gesonderten Einweisung bedurft hätte.

39(2) Der Umstand, dass die Klägerin und der Mitarbeiter P für unterschiedliche Kunden zuständig waren, führt -entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten- nicht zu einer anderen Bewertung. Die Beklagte hat schon nicht substantiiert dazu vorgetragen, dass zwischen den Kunden Unterschiede bestanden, die sich auf die Art der zu verrichtenden Vertriebstätigkeiten bzw. die Anforderungen an die jeweiligen Stelleninhaber ausgewirkt hätten. Auch der Umstand, dass die Klägerin und der Mitarbeiter P für unterschiedliche Produkte zuständig waren, steht der Annahme, dass beide Beschäftigte die gleiche Arbeit ausgeübt haben, nicht entgegen. Die Beklagte hat auch insoweit nichts substantiiert dafür dargetan, dass sich deshalb die Art der von der Klägerin und dem Mitarbeiter P zu verrichtenden Tätigkeiten bzw. die Anforderungen an die jeweiligen Stelleninhaber geändert hätten.

40(3) Eine andere Bewertung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil die Klägerin über eine Ausbildung als Diplom-Kauffrau verfügte, während der Mitarbeiter P staatlich geprüfter Techniker war. Zwar können Anforderungen an die Ausbildung für die Frage relevant sein, ob verschiedene Arbeitnehmer die gleiche Arbeit verrichtet haben. Vorliegend war für die Tätigkeit im Vertriebsaußendienst jedoch schon keine bestimmte Berufsausbildung gefordert.

41c) Der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom bis zum ein um 1.000,00Euro brutto geringeres monatliches Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen P, begründet vorliegend die Vermutung iSv. §22 AGG, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG sowie iSv. Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. Davon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen.

42aa) §22 AGG, der auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend ist (- Rn.25f., BAGE173, 331; kritisch Höpfner/Frank Anm. AP EntgTranspG §3 Nr.1), sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in §1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (- Rn.24, aaO; -8AZR 501/14- Rn.51, BAGE164, 117).

43bb) Eine Partei muss in einem Rechtsstreit wie dem vorliegenden nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung iSv. §22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist der Partei dies gelungen, reicht dies - auch unter Berücksichtigung des Gebots der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ - aus, um die Vermutung iSv. §22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung „wegen des Geschlechts“ erfolgt und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben ist sie nämlich bereits dann dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung (- Rn.51, BAGE173, 331; vgl. - [Brunnhofer] Rn.58).

44cc) Es kann dahinstehen, ob der von der Klägerin als Vergleichsperson ebenfalls benannte Vertriebsaußendienstmitarbeiter G eine gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichtet hat wie die Klägerin. Die Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum nur zwei Kollegen des anderen Geschlechts, die ebenfalls im Vertriebsaußendienst tätig waren. Jedenfalls in einem solchen Fall reicht es zur Begründung der Kausalitätsvermutung ohne Weiteres aus, dass sie einen Kollegen des anderen Geschlechts aufgezeigt hat, der -wie der Mitarbeiter P- bei gleicher Arbeit ein höheres Entgelt erhielt (vgl. - [Brunnhofer] Rn.56 bis 58).

45d) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Vermutung, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG sowie iSv. Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG aufgrund des Geschlechts erfahren hat, nicht den Vorgaben von §22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt.

46aa) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (- [Kenny ua.] Rn.20; -C-17/05- [Cadman] Rn.31; - Rn.31, BAGE173, 331). Dabei ist es Sache der für die Würdigung des Sachverhalts allein zuständigen nationalen Gerichte zu beurteilen, ob objektive Faktoren vorliegen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (- [Brunnhofer] Rn.65). Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (- aaO; vgl. -8AZR 484/18- Rn.36, BAGE169, 302). Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht, der Arbeitgeber muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht (- Rn.63, aaO).

47bb) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von dem Arbeitgeber seinerseits vorgebrachten Tatsachen den Schluss darauf zulassen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat, ist nur eingeschränkt revisibel. Die revisionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf zu prüfen, ob sich das Landesarbeitsgericht den Vorgaben von § 286 Abs. 1 ZPO entsprechend mit dem Prozessstoff umfassend auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und des Weiteren rechtlich möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (zu den Überprüfungsgrundsätzen vgl. etwa: - Rn.32, BAGE173, 331; -8AZR 484/18- Rn.67, BAGE169, 302; -8AZR 375/15- Rn.48, BAGE156, 107; vgl. ferner - Rn.28; -8AZR 421/14- Rn.27).

48cc) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagten sei es gelungen, die Vermutung zu widerlegen, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG sowie iSv. Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG aufgrund des Geschlechts erfahren hat. Diese Annahme hält der - eingeschränkten - revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand.

49(1) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin und dem Mitarbeiter P jeweils ein Grundentgelt iHv. 3.500,00 Euro brutto angeboten. Der Mitarbeiter P habe jedoch für den Zeitraum bis zum , in dem noch keine Provisionen verdient werden konnten, eine um 1.000,00Euro brutto höhere Grundvergütung gefordert. Diese Erhöhung sei im Interesse der Gewinnung dieses Mitarbeiters erforderlich gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass bei der Beklagten nur drei Vertriebsmitarbeiter beschäftigt gewesen seien und die Beklagte gewusst habe, dass die Vertriebsmitarbeiterin U zum ausscheiden würde. Das Interesse der Beklagten, einen geeignet erscheinenden Mitarbeiter einzustellen, der bis zum Ausscheiden der Vertriebsmitarbeiterin U durch diese eingearbeitet werden könne, sei legitim. Ohne die mit dem Bewerber P getroffene Vereinbarung über eine vorübergehende Erhöhung des Grundgehalts hätte die Beklagte das Ziel einer Einstellung nicht erreichen können.

50(2) Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts schöpft den zugrundeliegenden Sachverhalt nicht aus und ist in sich nicht widerspruchsfrei.

51Zwar ist dem Landesarbeitsgericht zuzugeben, dass die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung im Einzelfall widerlegt sein kann, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen. Veranlasst die Lage auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitgeber, das Entgelt für eine bestimmte Tätigkeit zu erhöhen, um Bewerbern einen Anreiz zu bieten, kann dies geeignet sein, die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung zu widerlegen (vgl. - [Enderby] Rn.26, 29).

52Derartige Gründe hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie nicht dargetan, dass aufgrund der Lage auf dem Arbeitsmarkt Personalgewinnungsschwierigkeiten gerade für die Stelle bestanden, auf die sich der Mitarbeiter P beworben hatte. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich auch nicht, dass es keine ebenso gut geeigneten Bewerberinnen oder Bewerber wie den Bewerber P gegeben hatte, die bereit gewesen wären, zu der von der Beklagten angebotenen Vergütung ein Arbeitsverhältnis zu begründen. Im Übrigen gestaltete sich -was das Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigt hat- die Personalsituation im Vertrieb der Beklagten zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin deutlich problematischer als zum Zeitpunkt der Einstellung des Arbeitnehmers P. Der Vertriebsmitarbeiter E, den die Klägerin ersetzen sollte, hatte sein Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom zum gekündigt und war damit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin am bereits ausgeschieden. Damit war die Beklagte in noch höherem Maße als bei der Einstellung des Mitarbeiters P darauf angewiesen, möglichst kurzfristig einen Ersatz zu finden. Auch stand für die Einarbeitung der Klägerin durch die Mitarbeiterin U noch weniger Zeit zur Verfügung.

53dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts widerlegt, stellt sich auch nicht aus einem anderen Grund als zutreffend dar.

54(1) Die Beklagte kann sich insoweit nicht mit Erfolg allein darauf berufen, sich mit dem Bewerber P in Ausübung der beiderseitigen Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt geeinigt zu haben.

55(a) Im Schrifttum wird insoweit teilweise vertreten, es sei zulässig, für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine höhere Vergütung zu zahlen, wenn sich ein Bewerber im Vorstellungsgespräch besonders gut verkaufe (Bauer/Krieger/Günther AGG und EntgTranspG 5.Aufl. §3 EntgTranspG Rn.22; Bauer/Romero NZA2017, 409, 412). Demgegenüber weisen andere Stimmen in der Literatur darauf hin, dass das Verbot der Entgeltdiskriminierung eine legitime Einschränkung der Vertragsfreiheit darstelle (Däubler/Beck/Zimmer 5.Aufl. §3 EntgTranspG Rn.1) und sich der Arbeitgeber gerade nicht darauf berufen könne, er zahle einem anderen Bewerber mehr, weil dieser mehr gefordert habe (Colneric FS Dieterich 1999 S.45, 54).

56(b) Der Umstand, dass sich Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. In einem solchen Fall wird nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Würde dennoch allein der Umstand der Einigung auf eine höhere Vergütung genügen, könnte der Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer iSv. Art.157 Abs.1 AEUV, Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie iSv. §3 Abs.1, §7 EntgTranspG auch nicht effektiv umgesetzt werden. Art.1 Satz2 Buchst.b der Richtlinie 2006/54/EG würde seine praktische Wirksamkeit genommen (vgl. zu Art.3 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2000/78/EG - [Monteur audiovisuel pour la télévision publique] Rn.77).

57(c) Etwas anderes ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass die Beklagte dem Bewerber P ursprünglich dieselbe -niedrigere- Grundvergütung angeboten hat wie später der Klägerin und dass die Initiative für die Vereinbarung eines höheren Grundentgelts von dem Bewerber P ausging, weil dieser für die Zeit bis zum eine um 1.000,00Euro brutto höhere Grundvergütung forderte. Allein der Umstand, dass die Beklagte der Forderung des Bewerbers P nach einem höheren Grundentgelt nachgegeben hat, ist für sich allein betrachtet ebenfalls nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen. Haben sich die Parteien eines Arbeitsvertrags auf ein höheres Entgelt verständigt als der Arbeitgeber einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbarungsgemäß zahlt, begründet dies die Vermutung iSv. §22 AGG, dass die Arbeitskraft des anderen Geschlechts die Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren hat. Es liegt auf der Hand, dass mit demselben Umstand die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung nicht widerlegt werden kann, zumal auch hier nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Geschlecht mitursächlich für das Nachgeben des Arbeitgebers war. Würde man den Umstand, dass ein/e Mitarbeiter/in besser verhandelt hat als ein/e Beschäftigte/r des anderen Geschlechts, für sich betrachtet gleichwohl zur Widerlegung der Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung ausreichen lassen, könnte sich der Arbeitgeber nur allzu leicht der Beachtung des Grundsatzes der geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheit entziehen. Das wäre aber mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar, wonach Mechanismen, die geeignet sind, sich der Beachtung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu entziehen, zur Widerlegung der Vermutung nicht herangezogen werden können (vgl. - [Enderby] Rn.22). Etwas anderes kann -wie unter Rn.51f. ausgeführt- zwar im Einzelfall dann anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber auf eine solche Forderung eingeht, um konkreten Personalgewinnungsschwierigkeiten zu begegnen. Eine solche Situation hat die Beklagte indes nicht dargetan.

58(2) Soweit die Beklagte ferner geltend macht, das Geschlecht habe bei ihrer Entscheidung, an den Mitarbeiter P eine höhere Grundvergütung zu zahlen, keine Rolle gespielt, weil sie nicht nur dessen Wunsch -nach einer befristeten höheren Grundvergütung-, sondern auch dem Wunsch der Klägerin -nach einer unentgeltlichen Sonderurlaubsvereinbarung- Rechnung getragen habe, so kann sie auch hieraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin bei den Vertragsverhandlungen mit der Beklagten von der mit dem Mitarbeiter P getroffenen Vereinbarung, nach der dieser in der Zeit von Beginn seiner Tätigkeit bei der Beklagten am bis zum eine um 1.000,00Euro brutto höhere monatliche Grundvergütung erhalten sollte, keine Kenntnis hatte und deshalb etwaige Wünsche nicht sachgerecht artikulieren konnte. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen ein ausdrücklich geäußerter Wunsch eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin nach einer bestimmten Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zur Widerlegung der Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung geeignet sein kann, oder aus anderen Gründen -zB wegen Rechtsmissbräuchlichkeit nach §242 BGB unter dem Gesichtspunkt eines widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium)- der Berufung auf einen Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot entgegensteht, bedurfte deshalb keiner Entscheidung.

59(3) Die Beklagte kann sich zur Widerlegung der Vermutung auch nicht mit Erfolg darauf berufen, mit dem Mitarbeiter P ein höheres Grundentgelt vereinbart zu haben, weil dieser der besser vergüteten Mitarbeiterin U nachfolgen sollte, während die Klägerin den schlechter vergüteten Mitarbeiter E ersetzen sollte. Allein der Umstand, dass die Einstellungen als Ersatz für unterschiedlich vergütete ausscheidende bzw. ausgeschiedene Arbeitskräfte erfolgten, ist zur Widerlegung der Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin nicht geeignet. Die unterschiedliche Höhe der Grundvergütung der Mitarbeiterin U und des Mitarbeiters E kann unterschiedlichste, insbesondere in deren Person liegende Gründe haben, wie beispielsweise deren Betriebszugehörigkeit oder besondere Verdienste. Dass die Arbeit auf der zuvor von der Mitarbeiterin U innegehabten Stelle höhere Anforderungen an den Stelleninhaber P stellte als die Arbeit auf der zuvor vom Mitarbeiter E innegehabten Stelle an die Klägerin, hat die Beklagte nicht behauptet. Insoweit fehlt es an einem substantiierten Vorbringen der Beklagten. Da die Klägerin und der Mitarbeiter P die gleiche Arbeit ausübten, erschließt sich nicht, aus welchen Gründen sie wegen der Nachfolge für eine bestimmte Arbeitskraft eine unterschiedliche Grundvergütung erhalten sollten.

60(4) Soweit die Beklagte geltend macht, dem Mitarbeiter P das höhere Grundentgelt deshalb zugestanden zu haben, weil er besser qualifiziert gewesen sei, da er über eine fachspezifische Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker verfügte und bereits seit 2004 im branchenspezifischen Vertrieb gearbeitet habe, kann sie auch hiermit die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin wegen des Geschlechts nicht widerlegen.

61(a) Zwar kann eine bessere Qualifikation eines Bewerbers/einer Bewerberin im Einzelfall zur Widerlegung der Vermutung geeignet sein. Dies gilt nicht nur für eine bessere Qualifikation wegen einer fachspezifischen Ausbildung, sondern auch im Hinblick auf eine einschlägige Berufserfahrung. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs derEuropäischen Union nicht nur anerkannt, dass die Berufsausbildung in jeder Hinsicht einen Faktor darstellt, der eine unterschiedliche Vergütung der Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit verrichten, objektiv rechtfertigen kann (- [Kenny ua.] Rn.29; -C-309/97- [Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse] Rn.19). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es ebenso grundsätzlich legitim, die Berufserfahrung zu honorieren, weil sie Arbeitnehmer im Allgemeinen befähigt, ihre Arbeit besser zu verrichten (vgl. - [Cadman] Rn.34ff.).

62(b) Dass die von der Beklagten behauptete bessere Qualifikation des Mitarbeiters P bei ihrer Entscheidung, sich auf dessen Forderung nach einer um 1.000,00Euro brutto höheren Grundvergütung einzulassen, eine Rolle gespielt hat, hat die Beklagte jedoch erstmals in der Revision vorgetragen. Obgleich die Frage der Qualifikation unter den Parteien im Verfahren vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht diskutiert worden war, hat sich die Beklagte vor den Instanzgerichten auf diesen Umstand zur Begründung der mit dem Mitarbeiter P getroffenen Vergütungsabrede zu keinem Zeitpunkt berufen, sondern immer wieder ausgeführt, dem Mitarbeiter P das höhere Grundentgelt deshalb gezahlt zu haben, weil dieser nur bereit gewesen sei, unter diesen Bedingungen bei ihr anzufangen und sie unbedingt den Mitarbeiter P als Ersatz für die Mitarbeiterin U habe einstellen wollen. Bei dem Vorbringen der Beklagten handelt es sich demnach um neues Vorbringen in der Revisionsinstanz, das nach §72 Abs.5 ArbGG, §559 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden kann (- Rn.41; -10AZR 141/18- Rn.62).

63(5) Soweit die Beklagte sich darauf berufen hat, der Mitarbeiter P erbringe bessere Leistungen als die Klägerin, kann sie auch hieraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Zum einen hat die Beklagte schon nicht substantiiert dazu vorgetragen, aus diesem Grund an den Mitarbeiter P in der Zeit vom bis zum ein höheres Grundentgelt gezahlt zu haben. Zum anderen können Umstände, die sich bei der Einstellung nicht objektiv bestimmen lassen, sondern sich erst während der konkreten Ausübung einer Tätigkeit herausstellen, wie die persönliche Leistungsfähigkeit oder die Qualität der tatsächlich erbrachten Leistungen des Arbeitnehmers, ohnehin nicht zur Widerlegung der Vermutung einer von Anfang an bestehenden Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts herangezogen werden (vgl. - [Brunnhofer] Rn.76 bis 78).

64(6) Die Beklagte kann sich zur Widerlegung der Vermutung ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die mit dem Mitarbeiter P vereinbarte erfolgsabhängige Vergütung erst nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn Monaten verdient werden konnte, während dies im Fall der Klägerin bereits nach einer Betriebszugehörigkeit von lediglich acht Monaten möglich war. Ebenso ist der Umstand, dass die Beklagte mit der Klägerin eine Sonderurlaubsvereinbarung getroffen hatte, nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen.

65Eine Widerlegung der Vermutung aus diesen Gründen scheidet bereits deshalb aus, weil -wie unter Rn.29 ausgeführt- eine echte Transparenz, die eine wirksame Kontrolle der Einhaltung des geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheitsgebots bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ermöglicht, nur gewährleistet ist, wenn der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gezahlten Entgelts gilt. Da bereits verschiedene Entgeltbestandteile nicht „gegeneinander aufgewogen“ werden können, können erst recht nicht andere, nicht das Entgelt ausmachende Vertragsbedingungen -wie die von der Klägerin getroffene Sonderurlaubsvereinbarung- zur Widerlegung der Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung herangezogen werden.

663. Der Anspruch der Klägerin auf rückständige Vergütung für die Zeit vom bis zum iHv. insgesamt 8.000,00Euro brutto ist nicht nach der in §8 Abs.4 des Arbeitsvertrags der Parteien vom -einem Formularvertrag- enthaltenen Ausschlussklausel verfallen. Die in §8 Abs.4 des Arbeitsvertrags über den Verfall getroffenen Abreden, bei denen es sich -wenn nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv.§305 Abs.1 Satz1 BGB- jedenfalls um vorformulierte Vertragsbedingungen iSv. §310 Abs.3 Nr.2 BGB handelt, sind unwirksam.

67a) Die erste Stufe der Ausschlussklausel ist wegen unangemessener Benachteiligung nach §307 Abs.1 Satz1 BGB unwirksam, weil mit ihr die Geltendmachung der Ansprüche innerhalb von weniger als drei Monaten verlangt wird (vgl. -Rn.51, BAGE144, 306).

68b) Die Unwirksamkeit von §8 Abs.4 Satz1 des Arbeitsvertrags führt auch zur Unwirksamkeit der in §8 Abs.4 Satz2 des Arbeitsvertrags getroffenen Abrede und damit gemäߧ306 Abs.1 BGBauch zu deren ersatzlosem Fortfall. Die zweite Stufe der Ausschlussklausel kann nicht isoliert bestehen bleiben, weil es wegen der Unwirksamkeit der ersten Stufe keinen Zeitpunkt mehr gibt, an den der Fristablauf der zweiten Stufe anknüpfen könnte (- Rn.26; -5AZR 251/11- Rn.36 ff., BAGE 141, 340).

694. Der Anspruch der Klägerin auf rückständige Vergütung für die Zeit vom bis zum iHv. insgesamt 8.000,00 Euro brutto ist auch nicht nach der Ausschlussfristenregelung in § 19 des Haustarifvertrags verfallen.

70a) Nach §19 des Haustarifvertrags sind „Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis … innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.“

71b) Die Auslegung von §19 des Haustarifvertrags ergibt, dass diese Bestimmung auf Ansprüche, die -wie die vorliegend im Streit stehenden Entgeltansprüche- in einer Zeit vor dem Inkrafttreten des Haustarifvertrags am entstanden sind, keine Anwendung findet (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge - Rn.21 mwN). Die Tarifvertragsparteien haben keine Rückwirkung der Regelungen des Haustarifvertrags auf die unter der bisherigen Rechtslage entstandenen Ansprüche geregelt, sodass der Grundsatz gilt, dass sich der Tarifvertrag keine Rückwirkung beimisst (vgl. - Rn.28, BAGE119, 374).

72II. Die Beklagte schuldet der Klägerin auch rückständige Vergütung für den Monat Juli 2018 iHv. 500,00Euro brutto. Auch dieser Anspruch folgt aus Art.157 AEUV sowie aus §3 Abs.1, §7 EntgTranspG.

731. Die Klägerin hat im Juli 2018 eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG sowie iSv. Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG erfahren.

74Die Klägerin hat im Juli 2018 ein um 500,00Euro brutto geringeres monatliches Grundgehalt erhalten als der bei der Beklagten beschäftigte männliche Arbeitnehmer P. Die Klägerin übte auch im Juli 2018 die gleiche Arbeit iSv. Art.157 Abs.1 AEUV, Art.4 Abs.1 der Richtlinie 2006/54/EG und damit auch iSv. §4 Abs.1 EntgTranspG wie der Mitarbeiter P aus. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Vereinbarung der Beklagten mit dem Mitarbeiter P vom 2./, wonach dieser ab dem als „Leiter Vertrieb Bahntechnik/Sprechtechnik/GSM (- R)“ weiterbeschäftigt wurde. Die andere Bezeichnung der Tätigkeit des Mitarbeiters P ändert nichts daran, dass dieser und die Klägerin weiterhin die gleiche Arbeit ausgeübt haben. Die Beklagte hat bereits nicht substantiiert dazu vorgetragen, dass sich mit der Änderung der Funktionsbezeichnung die Art der Arbeit verändert hätte.

752. Der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin im Monat Juli 2018 für die gleiche Arbeit ein geringeres monatliches Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen P, begründet die Vermutung iSv. §22 AGG, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG sowie iSv. Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. Insoweit wird zur näheren Begründung auf die Ausführungen unter Rn.41ff. Bezug genommen.

763. Die Beklagte hat die Vermutung, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung iSv. §3 Abs.2 Satz1 EntgTranspG sowie iSv. Art.2 Abs.1 Buchst.a der Richtlinie 2006/54/EG im Juli 2018 aufgrund des Geschlechts erfahren hat, nicht den Vorgaben von §22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt.

77a) Soweit das Landesarbeitsgericht zu der gegenteiligen Annahme gelangt ist, hält dies der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand (zum Prüfungsmaßstab vgl. Ausführungen unter Rn.47).

78aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Erhöhung des Grundgehalts des Mitarbeiters P um 500,00Euro brutto im Monat Juli 2018 sei durch transparente und überprüfbare objektive Faktoren bedingt. Es sei legitim gewesen, dem Mitarbeiter P bei der Einstellung in Aussicht zu stellen, bei Bewährung in eineinhalb Jahren die Nachfolge der langjährig tätigen Mitarbeiterin U antreten und in deren betriebliche Stellung einrücken zu können. Die Übertragung der vormals der Mitarbeiterin U zugewiesenen Aufgabe „Leiter Vertrieb Bahntechnik“ zum unter Erhöhung des Grundgehalts um 500,00Euro brutto im Monat sei durch das Interesse der Beklagten, die im Zuge der Gewinnung des Arbeitnehmers gemachten Zusagen einzuhalten, objektiv gerechtfertigt und legitim. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ab dem die erfolgsabhängige Gehaltskomponente des Mitarbeiters P halbiert worden sei.

79bb) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist der Umstand, dass der Mitarbeiter P die Nachfolge der besser vergüteten Mitarbeiterin U angetreten hat, nicht geeignet, die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung der Klägerin wegen des Geschlechts zu widerlegen. Die Höhe der Grundvergütung der Mitarbeiterin U und des Mitarbeiters E kann -wie unter Rn.59 ausgeführt- unterschiedlichste, insbesondere in deren Person liegende Gründe haben, wie beispielsweise die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder die Honorierung besonderer Verdienste.

80cc) Dass dem Mitarbeiter P zugleich die Bezeichnung „Leiter Vertrieb Bahntechnik“ verliehen wurde, führt zu keiner anderen Bewertung. Dieser Umstand könnte sich -wie unter Rn.74 ausgeführt- allenfalls bei der Frage auswirken, ob die Klägerin und der Mitarbeiter P gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeiten ausgeübt haben. Er ist zur Widerlegung der Vermutung einer Entgeltbenachteiligung der Klägerin wegen des Geschlechts hingegen nicht geeignet.

81dd) Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, kommt es auch nicht darauf an, dass in der zwischen der Beklagten und dem Mitarbeiter P getroffenen Vereinbarung vom 2./ nicht nur das Grundentgelt um 500,00 Euro brutto erhöht, sondern auch die erfolgsabhängige Provision halbiert wurde. Insoweit verkennt das Landesarbeitsgericht, dass -wie unter Rn.29 ausgeführt- jeder Entgeltbestandteil gesondert zu betrachten ist.

82b) Die Beklagte hat die Vermutung, dass die Klägerin im Juli 2018 eine Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren hat, auch nicht anderweitig widerlegt. Soweit sie geltend macht, die Leistungen der Klägerin seien vor Einführung des ERA durch den Haustarifvertrag der Beklagten deutlich hinter denen des Mitarbeiters P zurückgeblieben, hat sie ihre Zusage, diesem ab dem überhaupt ein höheres Grundentgelt zu zahlen, nicht auf diesen Aspekt, sondern nur darauf gestützt, der Mitarbeiter P habe der besser vergüteten Mitarbeiterin U nachfolgen sollen. Die Nachfolge sei demnach mit einer Entgelterhöhung verbunden gewesen. Dass die Beklagte hiermit die Vermutung der geschlechtsbezogenen Benachteiligung der Klägerin beim Entgelt nicht widerlegen kann, wurde unter Rn.59 ausgeführt.

834. Der Anspruch der Klägerin auf rückständige Vergütung für den Monat Juli 2018 iHv. 500,00Euro brutto ist auch weder nach der arbeitsvertraglichen noch nach der tarifvertraglichen Ausschlussfristenregelung verfallen. Insoweit wird zur näheren Begründung auf die Ausführungen unter Rn.66ff. Bezug genommen.

84III. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin auch Anspruch auf rückständige Vergütung für den Zeitraum vom bis zum iHv. insgesamt 6.000,00Euro brutto. Dieser Anspruch folgt aus §611a Abs.1 BGB iVm. den Bestimmungen des Haustarifvertrags.

851. Die Klägerin hat in der Zeit vom bis zum Anspruch auf Vergütung nach der EntgeltgruppeZ11 des Haustarifvertrags. Nach AnlageC zum Haustarifvertrag beträgt das nach der Entgeltgruppe Z11 zu zahlende monatliche Entgelt in diesem Zeitraum grundsätzlich 4.140,00Euro brutto. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

862. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war das Entgelt der Klägerin nicht nach §18 des Haustarifvertrags auf 3.620,00Euro brutto gedeckelt. Die Deckelungsregelung in §18 des Haustarifvertrags ist auf die Klägerin nicht anwendbar, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein individuell vereinbartes Entgelt bezogen hatte, sodass es an einem bisherigen tariflichen Entgelt iSd. Tarifbestimmung fehlt.

87a) Nach §18 des Haustarifvertrags erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120,00 Euro brutto in den Jahren 2018 bis 2020 (Deckelung), wenn das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (Lohn/Gehalt, Leistungszulage und/oder persönliche Zulagen) überschreitet.

88b) Zwar spricht viel dafür, dass die in §18 des Haustarifvertrags enthaltene Deckelungsregelung -für sich betrachtet- diskriminierungsfrei ist; entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist diese Bestimmung des Haustarifvertrags allerdings dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene Deckelung nur eingreift, wenn das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige „tarifliche“ Entgelt überschreitet, nicht dagegen, wenn -wie bei der Klägerin- das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige individuell vereinbarte Entgelt überschreitet (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge - Rn.21 mwN).

89aa) Dieses Verständnis der in §18 des Haustarifvertrags über die Deckelung getroffenen Regelung ergibt sich eindeutig aus deren Wortlaut. Insoweit stellt der Haustarifvertrag ausdrücklich nur auf das bisherige „tarifliche Entgelt“ ab, nicht auf das bisherige individuell vereinbarte Entgelt.

90bb) Zwar besteht bei der Auslegung von Tarifverträgen eine Bindung an den möglichen Wortsinn dann nicht, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifnormen das Vorliegen eines Redaktionsversehens ergibt. Von einem solchen kann allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn die Tarifvertragsparteien lediglich versehentlich einen anderen Ausdruck gewählt oder im Text belassen haben, als sie beabsichtigten (st. Rspr., zu den Anforderungen: - Rn.22; -9AZR 564/17- Rn.32). Ausreichende Anhaltspunkte für ein derartiges Redaktionsversehen bestehen vorliegend jedoch nicht.

91(1) Aus §20 des Haustarifvertrags, wonach der „Haustarifvertrag vom … mit Inkrafttreten dieses Haustarifvertrages außer Kraft“ tritt, ergibt sich, dass bei der Beklagten bereits zuvor ein Haustarifvertrag Anwendung fand. Hieraus wird zugleich deutlich, dass auch vor Inkrafttreten des neuen Haustarifvertrags vom Arbeitnehmer tariflich vergütet wurden, sodass die Bezugnahme auf das „tarifliche Entgelt“ in §18 des Haustarifvertrags nicht ins Leere läuft, sondern einen Sinn ergibt.

92(2) Etwas anderes folgt auch nicht aus der weiteren in §18 des Haustarifvertrags enthaltenen Regelung, wonach zum bei allen Beschäftigten ihr derzeitiges „individuelles“ Entgelt zusammengefasst und in die tarifliche Entgeltgruppe überführt wird. Hieraus ergibt sich nämlich nicht, dass auch für die im Haustarifvertrag bestimmte Deckelung -trotz des anderslautenden Wortlauts- auf das frühere individuelle Entgelt abgestellt werden sollte und nur versehentlich ein falscher Begriff gewählt wurde. Die gegenteilige Annahme liegt auch deshalb fern, weil Tarifvertragsparteien üblicherweise den Unterschied zwischen individuell ausgehandelten und tariflichen Entgelten sehr wohl kennen.

93(3) Soweit das Landesarbeitsgericht meint, im Hinblick auf den Zweck der in § 18 des Haustarifvertrags enthaltenen Deckelungsregelung, die durch die neue Entgeltregelung ausgelösten Kosten zu dämpfen, sei eine Auslegung dahin geboten, dass die Deckelung auch dann stattfindet, wenn das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige individuell vereinbarte Entgelt übersteigt, gibt der Sachverhalt hierfür schon deshalb keine Grundlage, weil völlig unklar ist, wie viele Mitarbeiter/innen tariflich vergütet wurden und mit wie vielen Mitarbeiter/innen das Entgelt individuell ausgehandelt wurde. Im Übrigen kann das Ziel einer Dämpfung der durch die neuen tarifvertraglichen Entgeltregelungen ausgelösten Kosten -jedenfalls teilweise- auch erreicht werden, wenn sich die Deckelung auf frühere tarifliche Vergütungen beschränkt und frühere individuell ausgehandelte Entgeltvereinbarungen nicht erfasst.

94c) Nach alledem hat die Klägerin für die Zeit vom bis zum Anspruch auf ein monatliches Grundentgelt iHv. 4.140,00Euro brutto anstelle der gezahlten 3.620,00Euro brutto. Daraus ergibt sich eine monatliche Entgeltdifferenz iHv. 520,00Euro brutto und für den gesamten Zeitraum vom bis zum somit iHv. 6.240,00Euro brutto. Nach §308 Abs.1 ZPO konnten der Klägerin jedoch nur die beantragten 500,00Euro brutto monatlich und damit insgesamt 6.000,00Euro brutto zugesprochen werden.

953. Die Ansprüche auf Differenzvergütung für die Zeit vom bis zum sind weder nach der Ausschlussklausel in §8 Abs.4 des Arbeitsvertrags (vgl. oben Rn.66ff.) noch nach der Regelung in §19 des Haustarifvertrags verfallen.

96Die Klägerin hat ihre Ansprüche mit Schreiben vom fristgerecht iSv. §19 des Haustarifvertrags geltend gemacht. Das gilt auch für die Ansprüche auf rückständige Vergütung für die Monate August und September 2018. Diese Ansprüche sind erst fällig geworden, nachdem der Klägerin das Schreiben der Beklagten vom zugegangen war, und damit erst am . Erst durch dieses Schreiben hat die Klägerin erfahren, dass sie ab dem nach der Entgeltgruppe Z11 unter Anwendung der Deckelungsregelung aus §18 des Haustarifvertrags vergütet werden würde. Fälligkeit im Sinne tariflicher Ausschlussfristen tritt nicht stets ohne Weiteres schon mit der Entstehung des Anspruchs ein. Es muss dem Gläubiger vielmehr tatsächlich möglich sein, seinen Anspruch geltend zu machen (- Rn.34, BAGE166, 222; -5AZR 301/17- Rn.27, BAGE164, 159). Die Klägerin war erst nach Zugang des Schreibens der Beklagten vom am imstande, eine höhere Grundvergütung geltend zu machen. Die später fällig werdenden monatlichen Differenzvergütungsansprüche musste die Klägerin nicht jeweils erneut schriftlich geltend machen (vgl. - Rn.45; -10AZR 863/11- Rn.31f., BAGE144, 210).

97IV. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts schuldet die Beklagte der Klägerin nach §15 Abs.2 AGG die Zahlung einer angemessenen Entschädigung. Der Senat hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv. 2.000,00Euro für angemessen.

981. Der unbezifferte Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt iSv. §253 Abs.2 Nr.2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. §15 Abs.2 Satz1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Ermessensspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Die Klägerin hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung, die sie mit nicht unter 6.000,00Euro bestimmt hat, angegeben (vgl. - Rn.17 mwN).

992. Der Antrag ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG iHv. 2.000,00Euro.

100a) Die Klägerin kann neben dem Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit aus Art.157 AEUV bzw. aus §3 Abs.1 und §7EntgTranspG einen Anspruch auf Entschädigung aus §15 Abs.2 AGG geltend machen. Dieser Anspruch ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil das EntgTranspG dem AGG in Fragen der Entgeltgleichheit insgesamt vorginge. Das EntgTranspG geht dem AGG für entgeltbezogene Benachteiligungen wegen des Geschlechts als lex specialis (nur) dann vor, wenn es eine abschließende Regelung trifft (- Rn.26, BAGE173, 331; vgl. bereits BT-Drs. 18/11133 S.48). Dies ist im Hinblick auf den Ersatz sowohl eines materiellen als auch immateriellen Schadens -wie er in §15 Abs.1 und Abs.2 AGG vorgesehen ist- nicht der Fall.

101b) Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist Arbeitnehmerin iSv. §6 Abs.1 Satz1 Nr.1 AGG. Die Beklagte ist Arbeitgeberin iSv.§6 Abs.2 AGG. Der sachliche Anwendungsbereich des AGG ist ebenfalls gegeben. Nach §2 Abs.1 Nr.2 AGG fallen Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts in den Anwendungsbereich des Gesetzes.

102c) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch auch rechtzeitig iSv. §15 Abs.4 Satz1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Kenntnis von der Benachteiligung schriftlich geltend gemacht.

103Die Klägerin hat erst im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits durch den Schriftsatz der Beklagten vom Kenntnis davon erlangt, dass der Mitarbeiter P in der Zeit vom bis zum eine um monatlich 1.000,00 Euro brutto sowie im Monat Juli 2018 eine um 500,00Euro brutto höhere Grundvergütung als die Klägerin erhalten hat. In der Folge hat sie rechtzeitig innerhalb von zwei Monaten ihre Klage um einen Antrag auf Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG erweitert, der am beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am zugestellt worden ist. Soweit die Klägerin die Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG auch wegen der Anwendung der tariflichen Deckelungsregelung in §18 des Haustarifvertrags begehrt, handelt es sich um einen Dauertatbestand, der zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage noch nicht abgeschlossen war, sodass die Ausschlussfrist nicht vor dessen Beendigung -somit nach Klageerhebung- zu laufen begonnen hat (vgl. - Rn.59f.).

104d) Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG.

105aa) Der Anspruch auf Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in §7 Abs.1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei §7 Abs.1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen verbietet (- Rn.22).

106bb) Die Beklagte hat die Klägerin mehrfach wegen ihres Geschlechts benachteiligt.

107(1) Sie hat sowohl in der Zeit vom 1.März bis zum als auch im Juli 2018 zum Nachteil der Klägerin gegen das Gebot des gleichen Entgelts für Männer und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit verstoßen.

108(2) Darüber hinaus stellt auch die von der Beklagten vorgenommene Deckelung der tariflichen Vergütung der Klägerin in der Zeit vom bis zum einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus §7 Abs.1 AGG dar. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Deckelung auf einer unrichtigen Anwendung von §18 des Haustarifvertrags beruhte. Durch die Anwendung der Deckelungsregelung wurde nämlich die Entgeltbenachteiligung, die die Klägerin im Monat Juli 2018 erfahren hat, teilweise perpetuiert.

109cc) Soweit es um die von der Beklagten in Anwendung von § 18 des Haustarifvertrags vorgenommene Deckelung der tariflichen Vergütung geht, ist der Entschädigungsanspruch auch nicht nach §15 Abs.3 AGG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen zwar nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Unabhängig von der Frage, ob §15 Abs.3 AGG unionsrechtskonform ist (offengelassen - Rn.68, BAGE129, 181), kommt eine Anwendung der Bestimmung nach Sinn und Zweck nicht in Betracht, wenn die Benachteiligung durch die falsche Anwendung einer nicht diskriminierenden kollektivrechtlichen Regelung eingetreten ist (- Rn.64). Vorliegend ist die Entgeltbenachteiligung eingetreten, weil die Beklagte die Deckelungsregelung zu Unrecht auf die Klägerin angewendet hat.

110e) Der Senat, der abschließend über die Höhe der Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG entscheiden kann, hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv. 2.000,00Euro für angemessen.

111aa) Die Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG hat eine Doppelfunktion: Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.

112bb) Die Entschädigung nach §15 Abs.2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte gewährleisten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (- [Asociaţia Accept] Rn.63 mwN zur Richtlinie 2000/78/EG; -14/83- [von Colson] Rn. 23f. zur Richtlinie 76/207/EWG; - Rn.87, BAGE 172, 99). Sie muss auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Eine rein symbolische Entschädigung wird den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinien nicht gerecht. Vielmehr sind die tatsächlich entstandenen Nachteile gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen (- aaO; -8AZR 170/19- Rn.18f., BAGE 170, 340).

113cc) Durch eine Entschädigung iHv. 2.000,00 Euro wird die Klägerin angemessen für den durch die unzulässige Entgeltdiskriminierung erlittenen immateriellen Schaden entschädigt; dieser Betrag ist zudem erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen.

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1715 Nr. 29
BB 2023 S. 2103 Nr. 37
BB 2023 S. 2112 Nr. 37
NJW 2023 S. 10 Nr. 29
NJW 2023 S. 2754 Nr. 38
NJW 2023 S. 2797 Nr. 38
ZIP 2023 S. 1494 Nr. 28
BAAAJ-43391

BAG, Urteil v. 16.02.2023 - 8 AZR 450/21 (2024)
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